Werder-Profi hat schon in Dortmund gewonnen – mit seinem RSV Meinerzhagen
Nuri Sahin wird immer mehr zum Trainer
Aktualisiert:
- 6 Kommentare
- Weitere
Bremen/Dortmund - Kurz vor Schluss, der Schiedsrichter zückt die Rote Karte, Rudelbildung am Spielfeldrand – nur einer bleibt ganz cool: Nuri Sahin.
Er denkt schon weiter, treibt an, will den Sieg trotz Unterzahl und bekommt ihn auch. Seinem RSV Meinerzhagen gelingt am vergangenen Sonntag in der Nachspielzeit noch der 2:1-Siegtreffer in Wickede – einem Stadtteil von Dortmund. Wie passend, am Samstag gastiert Sahin erstmals als Gegner von Borussia Dortmund im Westfalenstadion. Dann natürlich als Spieler von Werder Bremen.
Bei seinem Heimatclub RSV Meinerzhagen ist Sahin der Coach, wenn auch nur inoffiziell. Das wiederum passt ganz gut zu Werder, wo er als erfahrener Spieler auch Einfluss nehmen darf – und sich vor dem letzten Spiel gegen Düsseldorf fast schon selbst auf die Bank gesetzt hat. Der 30-Jährige ist mit seiner Form nicht zufrieden, hat mit Coach Florian Kohfeldt offen darüber gesprochen, dass Kevin Möhwald aktuell der Mannschaft vielleicht besser helfen kann. „Das rechne ich ihm hoch an“, sagte Kohfeldt.
Sahin Coacht RSV Meinerzhagen
Sahin denkt wie ein Trainer. Beim Westfalenligisten RSV Meinerzhagen kann er das noch mehr ausleben. Zwar tragen dort Mutlu Demir und Marco Sadowski die offizielle Bezeichnung Trainer, aber die Realität sieht anders aus. Wenn es Sahin zu den Spielen schafft, dann gibt er auch die Anweisungen am Spielfeldrand. Er ist aber keineswegs der Feldherr, sondern spricht sich mit seinen Kollegen ab. Schließlich müssen die oft genug alleine funktionieren. Sahins Hauptjob lässt es nun mal nicht zu, dass er bei allen Partien dabei ist.
Vor gut drei Jahren stieg Sahin beim RSV Meinerzhagen ein – nicht nur als Trainer, sondern auch finanziell. Eine Herzensangelegenheit. Sahin ist in Meinerzhagen, einer 20.000-Einwohner-Stadt im Sauerland, aufgewachsen. Mit zwölf Jahren wechselte er zu Borussia Dortmund, die 60 Kilometer Entfernung ist er unendlich oft gefahren. Schon mit 16 Jahren debütierte er in der Bundesliga, mit 17 in der türkischen Nationalmannschaft. Es folgte eine große Karriere – mit Abstechern zu Feyenoord Rotterdam, Real Madrid und dem FC Liverpool. 2013 kehrte er zum BVB zurück.
„Mein Leben dreht sich eigentlich um drei Dinge: Borussia Dortmund, meine Familie und RSV Meinerzhagen“, sagte Sahin im Sommer dem Internetportal „come-on.de“: „Das Gute ist: Ich kann den RSV Meinerzhagen mit meinen Freunden verbinden. Ich sehe meine Freunde und auch meinen Bruder mittlerweile viel öfter.“ Dass er auch als Geldgeber fungiert, verhehlt Sahin nicht, aber er wünscht es richtig eingeordnet: „Wenn jemand denkt, dass ich hier alles hineinpumpe, liegt er falsch. Wäre es so, dann würden wir definitiv ein paar Ligen höher spielen.“
Nach dem Training gibt es Videokonferenzen mit Sahin
Aber auch so hat der RSV den Durchmarsch von der Bezirksliga über die Landesliga in die Westfalenliga geschafft. Als Tabellenzweiter winkt der nächste Aufstieg – dann in die Oberliga Westfalen, das wäre immerhin die fünfte Liga. Nach seinem Wechsel im Sommer zu Werder ist Sahin zwar nicht mehr ganz so oft vor Ort, aber immer noch intensiv dabei. In der Woche gibt es nach dem Training Videokonferenzen. Jede Partie, die Sahin verpasst hat, wird ihm per Video zur Analyse nachgereicht. Der 30-Jährige nimmt sein Hobby ernst. Er freut sich, dass nun 500 Zuschauer zu den Heimspielen kommen, und ärgert sich, dass es noch keine überdachte Tribüne gibt: „Meine Mutter und meine Frau mussten einmal frühzeitig nach Hause fahren, weil die Kinder nass geworden sind – damit waren wir auf einen Schlag gleich vier Zuschauer los.“
Noch mehr bewegt ihn aber das Geschehen auf dem Platz. Das will er beeinflussen. „Wir müssen alles, was wir im Profibereich sehen, auf unser Niveau ‘runterziehen und daraus das Beste machen“, lautet sein Motto. Am liebsten lässt er im 4-1-4-1-System spielen. Beobachter wollen den berühmten Klopp-Fußball entdeckt haben mit viel Pressing und Umschaltspiel. Jürgen Klopp war Sahins großer Förderer beim BVB. „Ich bin durch meine Trainer geprägt, und das überträgt man dann natürlich auf die eigene Arbeit als Trainer“, erzählte Sahin mal. Sein Problem in Meinerzhagen: Die Gegner igeln sich immer mehr ein. Also muss Sahin nach neuen Lösungen suchen.
Da geht es ihm wie seinem eigenen Trainer in Bremen. Kohfeldt muss das Team und die Taktik stets weiterentwickeln, weil die Gegner natürlich auch ihre Hausaufgaben machen. Eigentlich sollte Sahin dabei eine Hauptrolle spielen. Sein Last-minute-Wechsel Ende August wurde als großer Coup gefeiert. Der erfahrene Mittelfeldspieler sollte weitaus mehr als nur der gesuchte Backup für den verletzungsanfälligen Sechser Philipp Bargfrede sein. Die hohen Erwartungen konnte der 52-fache türkische Nationalspieler nur phasenweise erfüllen. Es hakt vor allem noch im Spiel nach vorne, in dem Sahin mit seinen klugen Pässen eigentlich den Unterschied machen kann. Dafür haben seine Trainer manchmal auch in Kauf genommen, dass er defensiv nicht so robust, konsequent und schnell ist. 13 Jahre Profi-Fußball haben zudem ihre Spuren hinterlassen.
Sahin schreibt Liebesbrief an BVB
Sahin spürt das offenbar selbst und ist so loyal, darüber offen mit seinem Trainer zu sprechen. Kohfeldt hätte ihn trotzdem gegen Düsseldorf in die Startelf beordern können – zumal Bargfrede fehlte. Doch der Coach entschied sich für Möhwald, den 25-jährigen Neuzugang aus Nürnberg, der in der Bundesliga noch nie beginnen durfte. Das ist durchaus ein Zeichen, aus dem ein deutliches Signal werden könnte, wenn Sahin auch in Dortmund auf der Bank sitzen würde.
Ausgerechnet in seinem Wohnzimmer. „Es war ein großes Privileg für mich, 15 Jahre meines Lebens einem Verein zu widmen, der mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich jetzt bin“, hatte Sahin nach seinem Wechsel in einem wahren Liebesbrief an den BVB geschrieben: „Bis zu meinem letzten Atemzug, wenn ich meine Augen schließe, werde ich dich meinen Namen singen hören.“ Gemeint ist die berühmte „Gelbe Wand“, die Südtribüne im Westfalenstadion, das 80.000 Fans Platz bietet.
In Wickede waren es gerade mal 60 Zuschauer, die Sahins verfrühte Rückkehr nach Dortmund verfolgten. Der Profi gab trotzdem alles, damit sein Team gewinnt – und seine besonnene Art zahlte sich dabei aus.
Nuri Sahin: Seine Karriere in Bildern




Schon gesehen?
Eggestein über Delaney, den BVB und die „Gewalt des Westfalenstadions“