Nach Remis gegen Hannover 96
Taktik-Analyse: Kohfeldts System braucht weiteren Feinschliff
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Bremen - Werder spielt 1:1 gegen Hannover 96. Wirklich schlauer sind Werder-Fans nach dem Spiel nicht. Unser Taktikanalyst Tobias Escher erklärt, was gegen Hannover 96 bereits gut funktioniert hat – und an welchen Stellschrauben Florian Kohfeldt noch drehen muss.
Bremens Verantwortliche formulierten die Saisonziele ungewohnt ambitioniert. Europapokal: So lautet der Traum für die neue Saison. Doch solch ein Traum hat seine Tücken: Denn auch Werders Gegner wissen um die gestiegenen Ambitionen an der Weser. Plötzlich ist ein Heimspiel gegen Hannover 96 kein Spiel, das man gewinnen sollte – sondern ein Spiel, das man eigentlich gewinnen muss. Das spiegelt sich auch in der Taktik wieder.
Hannover spielt auf Konter
Hannovers Coach Andre Breitenreiter verordnete seinem Team eine stabile Defensive. Sollen die Bremer ruhig angreifen, so Breitenreiters Gedanke – wir spielen erst einmal auf 0:0. Seine Hannoveraner stellten sich in einem tiefen 4-4-2-Block auf. Auch die Außenstürmer wichen weit zurück, sodass Hannover in der gegnerischen Hälfte praktisch keinen Druck ausübte.
Florian Kohfeldt vertraute auf dieselbe Elf, die vergangene Woche im DFB-Pokal auflief. Auch die Taktik blieb unverändert: Bremen agierte aus einem variablen 4-3-3-System. Die Außenstürmer rückten hierbei weit in die Mitte, die Außenverteidiger sorgten für die Breite im letzten Drittel. Um Überzahlen auf den Flügeln herzustellen, rückten auch die zentralen Mittelfeldspieler Maximilian Eggestein und Davy Klaassen immer wieder raus auf die Flügel.
Fotostrecke: Werder Bremen mit Remis gegen Hannover 96




Angezogene Handbremse
In der Anfangsphase interpretierte Werder dieses bekannte System etwas defensiver als zuletzt. Die Außenverteidiger hielten sich noch zurück, Werder war vor allem auf Ballsicherung bedacht. Bremen forderte Hannover zunächst nicht.
Das war insofern ein Problem, als dass Hannover in den Anfangsminuten einige taktische Fehler machte. So nahm der junge Hannoveraner Linksaußen Linton Maina gleich in zwei Situationen seinen Bremer Gegenspieler nicht auf, als dieser zum Lauf hinter die Abwehr ansetzte. Doch Bremen verpasste den richtigen Zeitpunkt zum Abspiel. Das Timing im letzten Drittel bleibt das große Problem der Bremer; oft verpassen die Angreifer den richtigen Moment für den Torschuss oder für den tödlichen Pass. Da bringt das gute Aufbauspiel aus der Abwehr wenig.
Fehler in der Defensivstaffelung
Auch defensiv agierte Bremen nicht fehlerfrei. Grundsätzlich verteidigt Bremen mit zwei unterschiedlichen Systemen: Wenn sich Bremen in die eigene Hälfte zurückzieht, verteidigen sie in einem kompakten 4-1-4-1. Wollen sie den Gegner früh stören, rücken die Außenstürmer Florian Kainz und Yuya Osako hingegen in die vorderste Linie. Werder stört in einem aggressiven 4-3-3.
Spielt der Gegner jedoch einen Pass zum Außenverteidiger, müssen Eggestein und Klaassen aus dem Mittelfeld aufrücken und früh stören. Dadurch öffnen sich wiederum Räume im zentralen Mittelfeld. Hannover konnte diese freie Räume in manchen Situationen bespielen. Glück für Werder: Auch Hannover spielte vor der Pause noch mit angezogener Handbremse, brach gute Kontergelegenheiten früh ab. Sie konnten Bremens Schwachstellen im Mittelfeld nicht nutzen. So war es in der ersten Halbzeit ein chancenarmes Spiel, bei dem sich zwei wenig mutige Teams gegenseitig neutralisierten.
Mehr Mut nach der Pause
Beide Teams kehrten merklich offensiver aus der Pause zurück. Breitenreiter veränderte sein System: Pirmin Schwegler rückte nun aus dem zentralen Mittelfeld weiter nach vorne. Er bekam die Aufgabe, Philipp Bargfrede aggressiver zu stören. Hannover lief Bremen jetzt früh an, störte in einem aggressiven 4-1-3-2-System.
Werder kam jedoch gut zurecht mit dem hohen Pressing der Hannoveraner. Sie überspielten das Pressing, indem sie den Ball direkt auf die Außenstürmer spielten. Diese versuchten wiederum, den Ball auf die aufrückenden Mittelfeldspieler abzulegen. Gerade Eggestein tat sich in dieser Phase als kluger Kopf hervor, der die freien Räume hinter dem aggressiven Pressing der Hannover anvisierte.
Kruse-Ausfall und Mentalität
Schnell folgte jedoch ein Rückschlag für Werder: Max Kruse musste in der 52. Minute verletzt ausgewechselt werden. Osako übernahm seine Position, der eingewechselte Milot Rashica ging nach Rechtsaußen. Mit der Einwechslung von Claudio Pizarro (67. für Kainz) stellte Kohfeldt das System um: Pizarro agierte auf halblinks als seitlicher Stürmer, Rashica wurde zum halbrechten Stürmer, Osako wechselte auf die Zehner-Position. Ohne Kruse hatte Werder zwar Mühe, die Bälle im vorderen Drittel zu behaupten. Zumindest konnten die Bremer jedoch einige Angriffe über die Flügel fahren.
Hannover trat offensiv in dieser Phase kaum in Erscheinung – bis zur 77. Minute. Hendrik Weydandts Führungstreffer nach einem langen Ball (77.) krempelte das Spiel um. Bremen warf alles nach vorne, agierte nun mit einem Dreiersturm im Strafraum aus Pizarro, Osako und Rashica. Sie versuchten, über Flanken den Ausgleich zu erzwingen. Der Plan ging dank Gebre Selassie auf (85.).
Fazit und Ausblick
Was bleibt nach dem ersten Saisonspiel der Bremer? Kohfeldts Team fehlt noch der letzte Schliff im Spiel nach vorne. Zugleich war ihr hohes Pressing noch zu durchlässig. Auch nach Standardsituationen schwamm die Abwehr manches Mal. Doch gerade das Spiel mit dem Ball und das Verhalten nach Ballverlusten stimmt optimistisch.
Doch wahr ist auch: Möchte Bremen im kommenden Jahr tatsächlich international spielen, müssen sie Spiele wie dieses gewinnen. Die überraschend passiv auftretenden Hannoveraner machten nur kurz nach der Pause Druck, zogen sich ansonsten weit zurück. Sollte Kohfeldt es wirklich ernst meinen mit dem Traum von Europa, muss er seinem Team Mittel und Wege beibringen, um derart defensiv auftretende Gegner zu knacken.
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