Bayern gegen Werder
Analyse: Werder macht taktisch nichts falsch – und verliert trotzdem
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Kein Punkt geholt, trotzdem ein Lob verdient: Bremen zeigt bei der 2:4-Niederlage in München eine der stärksten Leistungen dieser Saison, meint unser Taktikanalyst Tobias Escher. Nur individuelle Patzer verhindern Größeres.
Außer Spesen nichts gewesen – so lautet die Bilanz der meisten Bundesliga-Teams, die nach München reisen. Werder-Coach Florian Kohfeldt wollte davon nichts wissen. Schon vor dem Spiel verkündete er, das Spiel gegen die Bayern sei ein ganz normales Bundesliga-Spiel für ihn. Werder wollte gegen den übermächtigen Rekordmeister Punkte holen. Dementsprechend frech und unbekümmert spielten sie auf.
Kohfeldt reaktiviert das Hybrid-System
Kohfeldt griff taktisch auf jenes System zurück, das in den ersten Werder-Partien unter seiner Leitung zum Einsatz kam. Offensiv agierte Bremen mit einem engen 4-3-3-System, bei dem die Außenstürmer in die Mitte rückten. Defensiv rückte Mittelfeldspieler Thomas Delaney auf eine Höhe mit Max Kruse, es entstand also ein kompaktes 4-4-2.
Überraschend war, wie offensiv die Bremer dieses System in der Anfangsphase interpretierten. Sie störten die Bayern bereits früh. Maximilian Eggestein rückte aus dem Mittelfeld immer wieder nach vorne, um Bayerns Mittelfeld unter Druck zu setzen. Auch die Außenstürmer orientierten sich zentral, sodass Werder den Weg durch die Mitte absperrte.
Bremen kontrolliert das Zentrum
Das war die große Stärke der Bremer: Sie kontrollierten das Zentrum. Bayern-Coach Jupp Heynckes vertraute auf ein 4-3-3-System, wobei die Positionen im Mittelfeld äußerst offensiv besetzt waren. Thomas Müller und James Rodriguez agierten vor dem einzigen Sechser Javi Martinez. Gerade Müller orientierte sich aber immer wieder nach vorne, sodass vor der Abwehr die Anspielstationen fehlten.
Bremen stellte Martinez zu, die Münchener Innenverteidiger fanden nur selten eine Anspielstation im Zentrum. Die Bayern mussten häufig den Weg über die Flügel suchen. Hier spielten die Bayern recht simple Pässe an die Grundlinie. Bremens Außenstürmer arbeiteten aber gewissenhaft mit nach hinten, sodass die Bayern nur selten vom Flügel in den Strafraum kamen. Die Bayern agierten in der ersten Halbzeit recht handzahm gegen clever und aggressiv verteidigende Bremer.
Freigeist Max Kruse
So hatten die Bremer in der ersten Halbzeit die besseren Chancen. Sie fokussierten sich vor allem auf Konter. Nach Ballgewinnen spielte Bremen flache Pässe, suchte dabei aber stets den direkten Weg nach vorne. Die Bayern bekamen wenig Zugriff im Gegenpressing, sodass die Bremer häufig aus der Abwehr das Spiel nach vorne aufbauen konnten.
Dies gelang vor allem, da Max Kruse viel Präsenz zeigte. Er ließ sich nach Ballgewinnen sofort zurückfallen und bot sich als Fixpunkt an. Er fiel ins Mittelfeld oder häufig auf den linken Flügel. Kein Bremer Akteur spielte mehr Pässe als Kruse – und das als nomineller Mittelstürmer! Er half, das Münchener Gegenpressing ins Leere laufen zu lassen.
Kruses omnipräsente, eher tiefe Rolle hatte ein kleines Manko: Es fehlte im weiteren Angriffsverlauf die Tiefe im Angriffsspiel. Die einstartenden Außenstürmer Zlatko Junuzovic und Jerome Gondorf agierten zu vorsichtig. Häufig musste Werder Angriffe abbrechen, weil kein Bremer Spieler rechtzeitig in den Strafraum startete. In der Folge spielte Bremen diese Angriffe über die Flügel zu Ende. Damit erarbeiteten sie sich vor allem Standards. Ein Einwurf führte zur verdienten Führung (25.).
Individuelle Klasse gegen individuelle Fehler
Die Geschichte der restlichen Partie war weniger geprägt durch die Unterschiede in der Taktik, sondern eher durch das unterschiedliche individuelle Niveau. Die Bayern hatten praktisch über die gesamte Partie hinweg herbe Probleme, in das Zentrum zu gelangen. Sie kamen praktisch nur über Flügelangriffe oder Standardsituationen zu Torchancen. Bremen verteidigte diese taktisch gut – doch individuell leisteten sie sich einige Patzer, sodass die Bayern über hohe Bälle das Spiel drehen konnte.
So richtig in die Partie fanden die Bayern erst nach der Einwechslung von Arturo Vidal (58., für Martinez). Die Bayern hatten nun zwar noch weniger Präsenz im Zentrum, durch Vidal kam aber mehr Zug ins Offensivspiel. Vidal agierte offensiver als Martinez, bot sich weiter vorne für Verlagerungen an. So hatten die Bayern häufiger die Option, den Ball in den Rückraum zu Vidal zu passen anstatt zu flanken. Die Bayern konnten somit schnell auf Bremens Ausgleichstreffer (74.) antworten (76.).
Bayern München vs. Werder Bremen




Nach dem 3:2 kam es, wie es kommen musste: Kohfeldt brachte mit Ishak Belfodil (für Philipp Bargfrede) eine weitere Offensivkraft. Mit einem Stürmer mehr, aber einem Sechser weniger konnte Bremen das Zentrum nicht mehr dominieren. Die Entstehung des 2:4 (84.) war die einzige Szene im gesamten Spiel, in der ein Münchener im Zentrum frei vor Bremens Viererkette an den Ball kam. Blöd für Bremen: Frei stand James Rodriguez, der einen Zuckerpass auf Müller spielte.
Fazit: Bremen muss sich nicht grämen
Nach dem Spiel ärgerten sich die Bremer Spieler und Verantwortlichen über einen unnötigen Punktverlust. Nicht ganz zu Unrecht: Bremen hatte das Spiel über weite Strecken defensiv unter Kontrolle. Ein schwaches Stellungsspiel im eigenen Strafraum lud die Bayern zu einfachen Treffern ein. Doch Bremen braucht sich nicht zu grämen: Kann Bremen dieses Leistungsniveau halten, werden sie in den kommenden Wochen so manchen Punktgewinn erzielen.
Zur Person: Tobias Escher ist ein freier Journalist, der sich als Taktikexperte bundesweit einen Namen gemacht hat. Er ist Autor der Website spielverlagerung.de sowie Experte bei Bohndesliga, einem ganz besonderen Fußball-Format im Internet. Der 29-Jährige schreibt für die „Welt“ und „11Freunde“ und war als Taktikexperte auch für TV-Sender wie Sky und ZDF tätig - mal im Vorder-, mal im Hintergrund. Absolut zu empfehlen sind seine Bücher „Vom Libero zur Doppelsechs“ und „Die Zeit der Strategen: Wie Guardiola, Löw, Mourinho und Co. den Fußball neu denken“ (erscheint im März 2018). Tobias Escher wird in dieser Saison alle Pflichtspiele des SV Werder Bremen exklusiv für die DeichStube analysieren.
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