Taktik-Analyse zur Werder-Pleite
Gladbach deckt gnadenlos die Schwächen von Nouris System auf
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Bremen - Von Tobias Escher. Acht Spiele, drei Tore, kein Sieg. Mit der 0:2-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach befindet sich Werder endgültig in der Krise. Was läuft schief? Unser Kolumnist Tobias Escher beleuchtet die Probleme aus taktischer Sicht.
Alles sollte anders werden nach der zweiwöchigen Länderspiel-Pause. Aggressiver, schneller, furchtloser solle seine Elf auftreten, so Alexander Nouri vor der Partie gegen Borussia Mönchengladbach. Die Realität sah anders aus: Nouris Elf hielt an der bisherigen strategischen Ausrichtung fest. Das Problem: Gegner Borussia Mönchengladbach war perfekt darauf vorbereitet.
Bilderbuch-Taktik von Gladbach
Auch gegen Gladbach waren Werders markantestes taktisches Merkmal die Mannorientierungen. Bremens Spieler klebten an ihren Gegenspielern. Damit möchte Bremen über eine enge Deckung Zugriff herstellen. Auch gegen Gladbach blieben sie sich treu. Um etwas aggressiver aufzutreten, versuchten die Bremer, diese Mannorientierungen bereits weit in der gegnerischen Hälfte herzustellen. Zlatko Junuzovic, eigentlich im Mittelfeld im 5-3-2-System aufgestellt, rückte dazu auf Höhe der beiden Stürmer, um Christoph Kramer zu verfolgen. Auch die tiefer postierten Thomas Delaney und Philipp Bargfrede rückten nach vorne, wenn sich Gladbacher Spieler fallen ließen.
Die beste Möglichkeit, gegen Mannorientierungen Räume zu schaffen, lautet: ständige Bewegung. Da Werders Spieler ihren Gegnern vergleichsweise weit folgen, öffnen sie Räume, wenn sie den Gegner verfolgen. Im Idealfall zieht ein Spieler seinen Bremer Gegenspieler aus der Position, ein weiterer besetzt die frei werdenden Räume. Dieser wird zwar ebenfalls gedeckt, dadurch werden aber erneut Räume frei. Dieses Muster lässt sich solange wiederholen, bis man vor das Tor gelangt. Oder aber man lässt, wie Gladbach dies in der ersten Viertelstunde tat, den Gegner einfach laufen.
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In der Praxis sahen Gladbachs Bewegungsmuster so aus, dass die Spieler im Zentrum sich stark vertikal bewegten. Dieter Hecking stellte seine Elf im 4-4-2 auf. Kramer und Denis Zakaria bekleideten die Doppelsechs, Lars Stindl und Raffael liefen im Sturm auf. Stindl ließ sich aus dem Sturm immer wieder auf Höhe der Mittelfeldspieler fallen, auch Raffael bewegte sich nach hinten.
Sie zogen die Abwehrspieler aus der Verteidigung. Die Mittelfeldspieler und die Außenstürmer stießen in die sich öffnenden Räume. Es gab viele dieser Positionswechsel auf Seiten der Gladbacher. Besonders Denis Zakaria startete immer wieder nach vorne, aber auch Kramer war sehr beweglich. Ein Beispiel zeigt die Grafik:
Mut- und kraftlose Bremer
Bremen erlangte gegen die ständigen Positionswechsel von Gladbach keinerlei Zugriff. Es fehlte der Mut, die eigenen Mannorientierungen aufzulösen und das Pressing weiter nach vorne zu tragen. So konnte Gladbach im Zweifel den Pass zu Yann Sommer zurückspielen, wohl wissend, dass dieser schon nicht aggressiv angegriffen wird. Bremen lief nur hinterher.
In manchen Situationen wirkte Bremen angesichts der zahlreichen Gladbacher Positionswechsel arg desorientiert. Vor dem 0:1 etwa ließ sich Niklas Moisander weit aus der Abwehr ziehen von Raffael, Bargfrede sicherte nicht für ihn ab (27.). Vor dem 0:2 griff die Manndeckung bei einer Ecke nicht. Jannik Vestergaard kam frei zum Kopfball (34.).
Auch im Spiel nach vorne fand Werder nur selten Lösungen. Gladbach wählte in der gegnerischen Hälfte ebenfalls ein mannorientiertes Pressing. Sobald Bremen dieses überspielte, zogen sie sich in einem kompakten 4-4-1-1 zurück. Bremen fehlten Strukturen, um dieses Konstrukt zu knacken. Zwar war Junuzovic bemüht, mit Läufen zwischen die gegnerischen Linien für Gefahr zu sorgen. Er wurde aber zu selten eingesetzt. Durch die tiefe Positionierung von Delaney und Bargfrede fehlte Bremen die Verbindung zwischen Defensive und Offensive.
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Systemumstellung bringt nur minimale Besserung
Nach der Pause sollte eine taktische Umstellung Bremen neues Leben einhauchen: Florian Kainz (für Bargfrede) und Izet Hajrovic (für Milos Veljkovic) kamen als neue Außenstürmer. Nouri stellte damit auf ein 4-4-2-System um. Offensiv beflügelte das neue System die Mannschaft etwas. Auch wenn die Mechanismen nicht eingespielt wirkten, entstanden durch das offensive Aufrücken der Außenspieler mehr Überzahlsituationen auf dem Flügel. Bremen kam besser nach vorne.
Die Kehrseite: Die defensive Absicherung im neuen System war mangelhaft. Bremen gelang es nicht mehr, Mannorientierungen herzustellen. Gerade im Mittelfeld standen sie weit offen und hatten Glück, dass Gladbach die eigenen Konter unsauber ausspielte. Mit der Einwechslung von Johannes Eggestein (80., für Ludwig Augustinsson) stellte Nouri zurück auf eine Dreierkette. Das Spiel war hier längst entschieden.
Fazit
Nachdem Bremen in den vergangenen Spielen vor allem die offensive Durchschlagskraft fehlte, kommt nun ein neuer Sorgenpunkt auf Nouris Liste: Seine Taktik wurde entschlüsselt. Gladbach zeigte der gesamten Bundesliga, wie man mit Bewegung und gutem Timing Bremens Defensive knacken kann. Nouri muss darauf hoffen, dass Kölns Trainerteam die Gladbach-Partie nicht gesehen hat – oder er muss sich bis zum kommenden Sonntag eine neue taktische Variante einfallen lassen.
Zur Person: Tobias Escher ist ein freier Journalist, der sich als Taktikexperte bundesweit einen Namen gemacht hat. Er ist Autor der Website spielverlagerung.de sowie Experte bei Bohndesliga, einem ganz besonderen Fußball-Format im Internet. Der 29-Jährige schreibt für die „Welt“ und „11Freunde“ und war als Taktikexperte auch für TV-Sender wie Sky und ZDF tätig - mal im Vorder-, mal im Hintergrund. Absolut zu empfehlen sind seine Bücher „Vom Libero zur Doppelsechs“ und „Die Zeit der Strategen: Wie Guardiola, Löw, Mourinho und Co. den Fußball neu denken“ (erscheint im März 2018). Tobias Escher wird in dieser Saison alle Pflichtspiele des SV Werder Bremen exklusiv für die DeichStube analysieren.
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